19. bis 21. September 2014
Es war vor den Europawahlen, als wir uns bei einem Treffen der Basisgemeinden im Wiener Raum für das Thema „Populismus und Fremdenfeindlichkeit entschieden. Leider haben diese Wahlen in fast allen europäischen Ländern die wachsende Aktualität dieses Themas bewiesen.
Mehr und mehr Menschen wollen nicht mehr darangehen, die Wurzeln der auch in unserer Wohlstandsgesellschaft immer stärker werdenden Ungleichheit und Ungerechtigkeit aufzudecken und durch solidarisches Handeln zu bekämpfen. Vielmehr lassen sie sich weismachen, dass sie sicher und geschützt wären, wenn sie sich gegen alles Fremde abschotten und die Festung Europa dicht machen. Ihren natürlich verbleibenden Frust lassen sie an allem aus, was anders scheint als sie selbst.
Die Ergebnisse kennen wir alle – und sie zeigen sich sowohl in den Strategien von Regierungen und Konzernen, als auch im Verhalten von Gruppen und Einzelpersonen. „Ich“, „wir“ zuerst - ist der Gedanke, der fast alle antreibt:
Jede und jeder von euch könnte diese Liste sicher noch seitenweise fortsetzen.
Es ist ja nicht schwer zu erkennen, wer von diesen Dingen profitiert:
Die Frage, die sich uns nun stellt, ist: Warum fühlen sich so viele Menschen in ganz Europa angezogen von (rechts-) populistischen Ideen?
Zu einem großen Teil sind es jene, die kein Selbstwertgefühl haben, keine Erfolge vorweisen können, die sich nicht geschätzt und geachtet fühlen, und meist auch wenig gebildet sind. Dass diese Menschen jemanden brauchen, auf den sie herab sehen können, und den sie schlecht behandeln können, ist einigermaßen logisch. Auch in den amerikanischen Südstaaten sind die ungebildeten, armen Weißen die ärgsten Rassisten.
Aber sind das alle?
Ist es euch nicht auch schon passiert, dass Leute, die recht nett und vernünftig wirken, die einen guten Job, eine schöne Wohnung und eine nette Familie haben, die vielleicht jeden Sonntag brav in die Kirche gehen, und die ihr womöglich für eure Freunde haltet, plötzlich und ganz selbstverständlich die krassesten fremdenfeindlichen Äußerungen von sich geben? Warum die? Wovor haben sie Angst? Vorm Teilen, vorm Zu-Kurz-Kommen, vor der Gerechtigkeit? Was wollen sie schützen?
„Einen Fremden sollst du nicht ausbeuten. Ihr wisst doch, wie es einem Fremden zumute ist, denn ihr selbst seid in Ägypten Fremde gewesen. (Ex., 23,9)
Das Fremdenrecht des Alten Testaments bietet menschwürdige Maßstäbe: Segen, Toleranz, Solidarität, Freude. Mut und Phantasie sind notwendig, um das Leitbild einer Einwanderungsgesellschaft zu entwerfen. Der Ruhesegen der Befreiten wird entstehen, wenn Aufenthalts- und Bleiberechte gesichert sind. Toleranz wächst, wenn die Forderung nach Anpassung und Integration aufgegeben und eine Vielfalt von Kulturen anerkannt wird. Solidarität bewährt sich in Gleichbehandlung und Gleichberechtigung aller im Lande Lebenden. Unter solchen Bedingungen wird Freude herrschen bei allen.
„Du sollst einen Ausländer, der vor seinem Herrn bei dir Schutz sucht, nicht ausliefern. Bei dir soll er wohnen dürfen, in deiner Mitte, an einem Ort, den er sich in einem deiner Stadtbereiche auswählt, wo es ihm gefällt. Du sollst ihn nicht ausbeuten.“ (Dtn. 23, 16f)
Und im Neuen Testament? Selbst von Jesus ist eine fremdenfeindliche Äußerung überliefert.
„Jesus … zog in das Gebiet von Tyrus. … Eine Frau, deren Tochter von einem unreinen Geist besessen war, hörte von ihm, sie kam sogleich herbei und fiel ihm zu Füßen. Die Frau, von Geburt Syrophönizierin, war eine Heidin. Sie bat ihn, aus ihrer Tochter den Dämon auszutreiben. Da sagte er zu ihr: Lasst zuerst die Kinder satt werden, denn es ist nicht Recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen. Sie erwiderte ihm: Ja, du hast Recht, Herr. Aber auch für die Hunde unter dem Tisch fällt etwas von dem Brot ab, das die Kinder essen. Er antwortete ihr: Weil du das gesagt hast, sage ich dir: geh nach Hause, der Dämon hat deine Tochter verlassen.“ (Mk. 7, 24-29),
aber er war immerhin lernfähig, und später gibt es genug positive Beispiele, etwa die Samariterin am Jakobsbrunnen. Den Ausgegrenzten, Ausgestoßenen fühlte er sich verbunden, für sie ergriff er Partei.
Bei Fremdenfeindlichkeit geht es letztlich um Menschenfeindlichkeit. Sie verletzt nicht nur die Würde des Menschen, verhindert menschenwürdiges Leben und ein Leben in Freiheit für alle, auch für jene, die von Menschenfeindlichkeit infiziert sind. Letztlich verletzt Xenophobie auch die Würde Gottes, dessen Repräsentant der Mensch ist.
Vorschläge für Diskussion in den Gruppen: